Der Beginn der Deportationen

Aspangbahnhof

Der Aspangbahnhof im 3. Bezirk: von hier aus wurden über 45.000 Menschen in Konzentrations- und Vernichtungslager transportiert, weniger als tausend überlebten. (Foto: www.wien.gv.at/wiki/index.php/Aspangbahnhof)

Während die Verfolgung von Jüdinnen und Juden bis 1940 vor allem auf Beraubung und Vertreibung der Betroffenen ausgerichtet gewesen war, verfolgten die Täter ab 1941 ein neues Ziel: die systematische Ermordung der verbliebenen jüdischen Bevölkerung.1

Im September 1939 stellte die Sicherheitspolizei2 im Zuge des Überfalls auf Polen erstmals Überlegungen an, in den neu eroberten Ostgebieten zwischen den Flüssen San und Bug ein „Judenreservat“ zu gründen und die jüdische Bevölkerung aus dem Reichsgebiet dorthin abzuschieben.3 Zeitgleich wurde den im Reich verbliebenen Jüdinnen und Juden die Ausreise drastisch erschwert, die infolge des Kriegsbeginns ohnehin nur noch Wenigen möglich war.4 Bereits einen Monat später, im Oktober 1939, erhielt die IKG Wien vom Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, Adolf Eichmann, den Befehl, einen Transport von mehr als 1.000 jüdischen Handwerkern und Mechanikern zusammenzustellen. Diese sollten nach Nisko südlich von Lublin in Ostpolen gebracht werden und dort ein Durchgangslager für künftige „Aussiedler“ errichten. Potentiellen Nisko-„Auswanderern“ stellte die IKG Wien eine freie Ansiedelung, sowie den Aufbau einer eigenen Existenz in Aussicht. Entgegen diesem Versprechen wurde zum einen die Mehrheit der Deportierten nach ihrer Ankunft in Ostpolen über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie getrieben. Zum anderen wurden die verbliebenen Männer gezwungen, nahe der Ortschaft Zarzecze ein Barackenlager zu errichten, in dem man sie anschließend unter elenden Bedingungen gefangen hielt. Im April 1940 schickte die SS schließlich diejenigen, die bis dahin überlebt hatten, zurück nach Wien – das gescheiterte Projekt Nisko wurde auf Befehl Heinrich Himmlers gestoppt.5 Aus dem vierten Bezirk wurden 18 Männer nach Nisko deportiert, von denen keiner überlebte. Der zuvor in der Preßgasse 8 wohnhafte und 1908 geborene Wilhelm Glaser überlebte fast die ganze Kriegszeit in verschiedenen Lagern, wurde jedoch letztendlich im März 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, im KZ Mauthausen ermordet.6

Im Frühjahr 1941 wurden weitere 5.000 Jüdinnen und Juden aus Wien, unter ihnen das Wiedner Ehepaar Josefine und Oskar Wellisch,7 in die Ghettos in den polnischen Kleinstädten Opole, Kielce und Modliborzyce deportiert. Auch diese Deportationen wurden nach kurzer Zeit wieder gestoppt, vermutlich, weil sich einzelne Wehrmachtstellen gegen die Pläne quer gelegt hatten. Dies war keineswegs humanitären Gründen geschuldet. Vielmehr sahen Verantwortliche innerhalb der Wehrmacht, wegen des organisatorischen Aufwands der Deportationen, die Vorbereitungen für das Unternehmen Barbarossa (den Feldzug gegen die Sowjetunion) in Gefahr. Obwohl von Adolf Hitler persönlich angeordnet, sollten nun vorerst von Wien aus keine weiteren Deportationen ins Generalgouvernement8 mehr stattfinden.9

Postkarte Robert Stricker

Eines der wenigen Lebenszeichen von Deportierten waren vereinzelte Postkarten. Deren Versand wurde von der SS mitunter gezielt veranlasst, um die Zurückgebliebenen zu beruhigen. Der Inhalt wurde streng zensuriert. Karte des stv. IKG-Präsidenten Robert Stricker aus dem Ghetto Theresienstadt an Berthold Storfer, 10. Juli 1943. Stricker und seine Frau Paula wurden 1944 in Auschwitz ermordet (Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Bestand Wien, A/VIE/IKG/II/DIV/1/3)

  1. 1) Vgl. Florian Freund/Hans Safrian, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-1945, in: Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer/Reinhard Sieder (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien, 2000, 767–794, 767.
  2. 2) Die der Kriminalpolizei und Gestapo übergeordnete Organisationseinheit. Vgl. Thomas Mang, „Gestapo-Leitstelle Wien – Mein Name ist Huber“. Wer trug die lokale Verantwortung für den Mord an den Juden Wiens, Wien 2003, 261.
  3. 3) Vgl. Dieter Pohl, Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933–1945, Darmstadt 2003, 63.
  4. 4) Vgl. Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation, 66.

  5. 5) Vgl. Florian Freund/Hans Safrian, Die Verfolgung der österreichischen Juden 1938-194, in: Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer/Reinhard Sieder (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien, 2000, 767–794, 770–771.
  6. 6) Vgl. DÖW, Opfersuche, URL: http://www.doew.at (Eintrag Wilhelm Glaser, 18. 6. 2015).
  7. 7) Vgl. Archiv der IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2589,93, AFB-Nr. 37079 (Oskar Wellisch); DÖW, Opfersuche, URL: http://www.doew.at (Einträge Josefa und Oskar Wellisch, 15. 3. 2015).
  8. 8) Als Generalgouvernment wurde in der Diktion des NS-Regimes jener Teil Polens bezeichnet, der zwar von Deutschland besetzt, dem Reich aber nicht unmittelbar angegliedert worden war und im Südosten des Landes lag.
  9. 9) Vgl. Hans Safrian, Eichmann’s Men, Cambridge 2010, 69–70.

Deportation und Massenmord