Obgleich Österreich bereits am 13. März 1938 zu einem Teil des Deutschen Reiches erklärt wurde, erforderte die Anpassung des österreichischen Rechts- und Verwaltungssystems erheblich mehr Zeit und wurde erst im April 1940 abgeschlossen.1 In der Phase nach dem „Anschluss“ existierte somit noch keine gesetzliche Basis für die Ausgrenzung und Verfolgung der österreichischen Jüdinnen und Juden.2 Im „Altreich“ – also Deutschland in den Grenzen von 1937 – waren entsprechende Regelungen bereits seit September 1935 durch die sogenannten Nürnberger Gesetze vorhanden.3 Obgleich die Nürnberger Gesetze im ehemaligen Österreich erst am 20. Mai 1938 in Kraft traten,4 kamen sie de facto schon früher zur Anwendung. Jüdinnen und Juden waren einerseits am 15. März 1938 von der für BeamtInnen verpflichteten Eidesablegung auf Adolf Hitler ausgeschlossen, wodurch ihre systematische Entfernung aus dem öffentlichen Dienst eingeleitet wurde. Andererseits wurde ihnen am 10. April 1938 die Teilnahme an der Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich verwehrt.5 Begleitet wurde die Entrechtung von fortwährender öffentlicher Hetze, besonders prominent in Gestalt der Propaganda-Ausstellung „Der ewige Jude“.6
Viele Jüdinnen und Juden standen infolge ihrer Ausplünderung, des Verlustes ihres Arbeitsplatzes oder wegen rassistischen Berufsverboten binnen kürzester Zeit vor dem wirtschaftlichen Ruin. Dies bot den NS-Behörden eine zusätzliche Möglichkeit der Schikanierung: Schon bald nach dem „Anschluss“ verweigerten Bezirkswohlfahrtsstellen in Wien armen „NichtarierInnen“ den Bezug von Fürsorgeleistungen,7 so auch im vierten Bezirk auf ausdrückliche Anweisung des kommissarischen NS-Bezirksvorstehers Herbert Vogel.8
Begleitet wurden die Entrechtung und die durch die Beraubung verursachte Verarmung von einer Flut antijüdischer Gesetze und Verordnungen. Die Behörden des NS-Regimes übertrumpften einander im Erfinden immer neuer Verbote und Benachteiligungen.
Seit 1938 waren alle jüdischen Frauen gezwungen, als zusätzlichen Vornamen „Sara“ anzunehmen, während jüdische Männer als zweiten Vornamen „Israel“ führen mussten, um sie mittels ihrer Ausweispapiere jederzeit als Jüdinnen und Juden identifizieren zu können. Als äußeres Erkennungsmerkmal mussten sie ab dem 1. September 1941 den gelben „Judenstern“ für alle sichtbar an ihrer Kleidung tragen. Einen Höhepunkt der antijüdischen Politik bildete schließlich am 25. November 1941 die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz,9 die den Entzug der Staatsbürgerschaft für alle Jüdinnen und Juden durchsetzte, die ins Ausland flüchteten, und damit die völlige Entrechtung einleitete.10
- 1) Vgl. Tálos, Von der Liquidierung der Eigenstaatlichkeit zur Etablierung der Reichsgaue der „Ostmark“, in: Talós/Hanisch/Neugebauer/Sieder (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich, 55–72, 55–56.
- 2) Christina Felzmann/Jutta Fuchshuber, „Unter Zwang enteignet“. „Arisierungen“ und „Liquidierungen“ von Handelsunternehmen in Österreich von 1938 bis 1945, Dipl. Arb., Wien, 24
- 3) RGBl. I 1935, 1146–1147, Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. 9. 1935.
- 4) [1] Vgl. Hannelore Burger/Harald Wendelin, Vertreibung, Rückkehr und Staatsbürgerschaft, in: Dieter Kolonovits/Hannelore Burger/Harald Wendelin (Hg.), Staatsbürgerschaft und Vertreibung, Wien 2004, 245–501, 293.
- 5) Vgl. Häusler, Das Jahr 1938 und die österreichischen Juden, in: DÖW (Hg.), „Anschluß“ 1938, Wien 1988, 85–92, 89.
- 6) Wolfgang Benz, „Der ewige Jude“ (Propagandaausstellung). In: Ders., Handbuch des Antisemitismus, Bd. 4, Berlin 2011
- 7) Gabriele Anderl/Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Wien 2004, 84-85
- 8) Vgl. WStLA, 1.3.2.119.B4.1 VEAV, 4. Bezirk, 281 (Herbert/Hermann Vogel); Keller, Das Wiener Marktamt 1938–1945, 61.
- 9) Vgl. Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation, 66–67; RGBl. I 1941, 772–724, Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. 11. 1941.
- 10) Hannelore Burger/Harald Wendelin, Vertreibung, Rückkehr und Staatsbürgerschaft, in: Dieter Kolonovits/Hannelore Burger/Harald Wendelin (Hg.), Staatsbürgerschaft und Vertreibung, Wien 2004, 245–501, 296