Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung

Razzia Eichmann

Adolf Eichmann (hinten, Blick in Richtung Kamera) im März 1938 während einer Gestapo-Razzia im Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde in der Seitenstettengasse. (Foto: DÖW)

Ursprünglich war Adolf Eichmann als einfacher SD-Referent nach Wien beordert worden, um hier an der Errichtung einer SD-Zweigstelle mitzuarbeiten. Die ihm und seinen Mitarbeitern übertragene Hauptaufgabe bestand zunächst in der Verhaftung von Angehörigen und Funktionären jüdischer Organisationen sowie in der Beschlagnahmung von Dokumenten und Unterlagen. Inmitten des um ihn herrschenden Chaos begann Eichmann aber umgehend, seinen Zuständigkeitsbereich willkürlich auszuweiten.1

Auf Befehl Eichmanns wurde die IKG Wien bis zu ihrer Wiedereröffnung im Mai 1938 „reorganisiert“. Von nun an musste sie wie andere jüdische Organisationen Eichmann permanent Bericht erstatten und konnte nur in enger Abstimmung mit ihm agieren.2

Eine Flucht auf dem Weg einer offiziellen Ausreise bedeutete zunächst unzählige Behördenwege sowie die Beachtung einer kaum übersehbaren Zahl von Vorschriften und Auflagen. Da diese Vorbereitungen viel Zeit erforderten, überlegte die Kultusgemeinde im Sommer 1938, eine zentrale Anlaufstelle für Fluchtwillige zu schaffen und ihnen auf diese Weise die Ausreise zu erleichtern. Diese Anregung machte sich Adolf Eichmann zu eigen.3 Seine Intention – ebenso wie die anderer beteiligter SS-Stellen – war allerdings zu keinem Zeitpunkt die „Beseitigung bürokratischer Schikanen, die für österreichische Juden, die vor dem alltäglichen Terror in das Ausland flüchten wollten, ein äußerst reales Problem darstellten.“4 Vielmehr eröffnete die Reorganisation des Auswanderungswesens nicht nur den Opfern, sondern auch den Verfolgern neue Möglichkeiten. Zum einen war man bestrebt, die forcierte Vertreibung der jüdischen Bevölkerung durch deren Beraubung zu finanzieren. Zum anderen versuchte die SS durch das Einmischen in polizeiliche Angelegenheiten, ihren Einflussbereich innerhalb des NS-Regimes Schritt für Schritt auszuweiten.5

Im August 1938 hatte Eichmann sein Ziel erreicht: Mit der Gründung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung wurde in Wien eine eigenständige Behörde eingerichtet, die nicht nur für die unmittelbare Flucht zuständig war, sondern für sämtliche „jüdische Angelegenheiten“. Obwohl die Zentralstelle formal dem SD-Oberabschnitt Donau und damit auch der Gestapo unterstellt war,6 wurde sie de facto von Adolf Eichmann eigenständig geleitet.7 Eichmann selbst betrachtete seine Aufgabe in der Schaffung von „Auswanderungsmöglichkeiten“, indem er die bürokratischen Abläufe im Inland systematisierte sowie zentralisierte und mit ausländischen Stellen über Einreisegenehmigungen verhandelte. Er zwang außerdem jüdische Organisationen dazu, die dafür notwendigen Devisen zu beschaffen. Weiters forcierte er die Einrichtung von Umschulungsstätten, in denen Auswanderungswillige handwerkliche Fähigkeiten erlernen sollten, die ihnen das Verdienen eines Lebensunterhalts in der Ferne ermöglichen und sie zugleich zu „attraktiven“ ImmigrantInnen in den Augen ihrer Fluchtländer machen sollten. Außerdem übernahm die Zentralstelle die Kontrolle sämtlicher „jüdisch-politischer“ Organisationen. Nicht zuletzt diente Eichmanns Amt der Koordinierung aller NS-Stellen in Wien, „die mit politischen, polizeilichen und finanziellen Aspekten der Vertreibung befaßt waren.“8

Palais Rothschild

Das einstige Palais Rothschild (Prinz-Eugen-Straße 20–22), nun Sitz der Zentralstelle für Jüdische Auswanderung, 1939. (Foto ÖNB, 1951916)

Die Zentralstelle bezog ihr Hauptquartier in keinem geringeren Gebäude als dem Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße. Damit nahm der vierte Bezirk einen wichtigen Platz in der Wiener „Topographie des Terrors“9 ein. Bis zur Beschlagnahmung durch die Gestapo im März 1938 hatte das Palais dem jüdischen Wiener Bankier Louis Nathaniel (von) Rothschild gehört.10 Bereits in den ersten Tagen nach der NS-Machtübernahme in Österreich hatten Sicherheitspolizei und SD die Liegenschaften der Familie Rothschild, darunter die beiden Palais in der Theresianumgasse und der Prinz-Eugen-Straße, beschlagnahmt und rasch in Besitz genommen.11 Während Franz Walter Stahlecker, der SD-Führer des SD-Oberabschnitts Donau, in der Theresianumgasse seinen Dienstsitz einrichtete, bezog der ihm untergebene Eichmann mit seiner Zentralstelle das mindestens ebenso repräsentative Gebäude in der Prinz-Eugen-Straße.12 Schon dieser Vorgang verdeutlichte Eichmanns enormen Aufstieg innerhalb der wenigen Monate, die er in Wien verbracht hatte.

Louis Rothschild selbst wurde im März 1938 von der Polizei festgenommen und ein Jahr lang als Geisel im Hotel Metropol, dem Hauptquartier der Gestapo in Wien, festgehalten, um die „Arisierung“ seines Besitzes zu erzwingen. Im Mai 1939 schließlich hatte die Erpressung Erfolg: Neben dem Gefangenen stimmten auch dessen im Ausland lebende Verwandte der Entziehung des Familienvermögens durch das Deutsche Reich zu.13 Im Gegenzug wurde Louis Rothschild aus der Haft der Gestapo entlassen. Über die Schweiz und Argentinien gelang ihm die Flucht in die USA.14

Louis Nathaniel Rothschild

Louis Nathaniel Rothschild (1882–1955), um 1930. (Foto: ÖNB/Fayer, 12995689)

Wie das Beispiel Rothschilds zeigt, ging mit der Vertreibung der Jüdinnen und Juden deren Enteignung einher.15 Diese wurde über die eigens geschaffene Vermögensverkehrsstelle abgewickelt. Die Vermögensverkehrsstelle erfasste den Besitz von Jüdinnen und Juden, setzte für Unternehmen von jüdischen EigentümerInnen „kommissarische Verwalter“ ein und überwachte die „Arisierung“ des Eigentums. Um eine Auswanderungsgenehmigung der Zentralstelle zu erhalten, mussten außerdem diverse diskriminierende Sondersteuern an die Finanzbehörden bezahlt werden: Zu den Abgaben, die der gezielten Beraubung der jüdischen Bevölkerung dienten, zählte die „Judenvermögensabgabe“ (JUVA): Von Hermann Göring entwickelt, wurde diese öffentlich als „Sühneleistung“ der Jüdinnen und Juden für das Novemberpogrom propagiert und betrug zunächst 20, später 25 % des jeweiligen Gesamtvermögens. Vor der Ausreise mussten Flüchtlinge außerdem weitere 25 % ihres Eigentums als „Reichsfluchtsteuer“ abtreten. Zusätzlich war an die Zentralstelle selbst eine „Passumlage“ zu entrichten. Obwohl es sich dabei um eine vergleichsweise geringe Gebühr zwischen und fünf und 50 Reichsmark handelte, stellte diese Abgabe für mittellose Flüchtlinge ein ernstes Problem dar. Viele konnten das Geld nur mit Unterstützung der IKG Wien und der Aktion Gildemeester aufbringen.16 Vom restlichen Vermögen durfte im Falle einer Auswanderung ein maximaler Bargeldbetrag von 30 Reichsmark mitgenommen werden, die Ausfuhr von Wertpapieren war gänzlich verboten.17 Die Schaffung der Zentralstelle diente zwar der Beschleunigung der Ausreise von Jüdinnen und Juden, keineswegs aber ihrer besseren Behandlung: AntragstellerInnen wurden wie auf dem Fließband abgefertigt und waren permanenten Schikanen, Demütigungen und Misshandlungen der anwesenden SS-Leute ausgesetzt.18

 

Matthias Kamleitner

  1. 1) Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1997, 36-40.
  2. 2) Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1997, 3-39.
  3. 3) Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1997, 34-41.
  4. 4) Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1997, 42.
  5. 5) Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1997, 43.
  6. 6) Gabriele Anderl/Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Wien 2004, 111-114.
  7. 7) Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat, Frankfurt/Main 2000, 112.
  8. 8) Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1997, 41-42.
  9. 9) So der Name des Berliner Dokumentationszentrums, das eine Reihe von Orten des NS-Terrors der ehemaligen Reichshauptstadt dokumentiert. Vgl. Dauerausstellung. Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt in der Wilhelm- und Prinz-Albrecht-Straße, Topographie des Terrors, URL: http://www.topographie.de/ausstellungen/topographie-des-terrors (10. 6. 2015). Der Begriff der Topographie wird ebenso im Band zu „Gedächtnisorten des zerstörten jüdischen Wien“ aufgegriffen, indem auch die Zentralstelle in der Prinz-Eugen-Straße thematisiert wird. Vgl. Lappin-Eppel, Über die Prinz-Eugen-Straße und die Mariahilfer Straße in die Welt, in: Hecht/Lappin-Eppel/Raggam-Blesch (Hg.), Topographie der Shoah, 163–239.
  10. 10) Gabriele Anderl/Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Wien 2004, 122-123.
  11. 11) Gabriele Anderl/Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Wien 2004, 39, 65. Anfang April 1938 beantragte die Gestapo die Einziehung der beiden Liegenschaften, Mitte Juni wurde in den Grundbüchern der Eigentumstitel zugunsten des Deutschen Reiches geändert.
  12. 12) Hans Safrian, Enteignung vor der „Arisierung“. Beschlagnahmungen und Einziehungen des Vermögens jüdischer Familien in Österreich vom März bis November 1938 durch die NSDAP, Gestapo und SD, Endbericht Projekt P09-0490, unveröffentl. Manuskript.
  13. 13) Hans Safrian, Enteignung vor der „Arisierung“. Beschlagnahmungen und Einziehungen des Vermögens jüdischer Familien in Österreich vom März bis November 1938 durch die NSDAP, Gestapo und SD, Endbericht Projekt P09-0490, unveröffentl. Manuskript, 65.
  14. 14) Michael Dorrmann, Der Raub an Louis von Rothschild. Familienarchiv und Kunstsammlung 1938-2001, in: Michael Dorrmann/Inka Bertz (Hg.), Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Göttingen 2008, 121-126, 121-124.
  15. 15) Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat, Frankfurt/Main 2000, 112.
  16. 16) Gabriele Anderl/Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Wien 2004, 245-263.
  17. 17) Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39, Wien 2008, 334-335.
  18. 18) Hans Safrian, Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main 1997, 43-45.

Die braune Wieden