Ein „alter Kämpfer“ wird „entschädigt“ – mit geraubtem jüdischen Besitz

Weißwarengeschäft Johann Hanika´s Nachf. Max Kelemen, Wiedner Hauptstraße 52, um 1925. (Foto: Bezirksmuseum Wieden)

Im Mai 1938 wurde Franz Alt als „kommissarischer Verwalter“ des Modewarengeschäfts Johann Hanika´s Nachf. Max Kelemen in der Wiedner Hauptstraße 52 bestellt. Alt war seit Mai 1928 bei der SA und seit April 1932 NSDAP-Mitglied. Die bisherige Besitzerin, die 52-jährige Irma Kelemen, hatte den Betrieb 1935 von ihrem verstorbenen Ehemann geerbt und weitergeführt. Sie lebte gemeinsam mit ihrer Tochter Gertrud in der Seisgasse 7. Für die „Übernahme“ des Geschäftes bewarben sich zwei Personen: Johann Mader, der seit 1913 als Einkäufer und Geschäftsführer in dieser Firma tätig war, und der Geschäftsreisende Willibald Prochaska. Mader war am 20. Juni 1890 in Wien geboren worden und wohnte in der Schönbrunner Straße 100 im fünften Bezirk. Auch Prochaska war in Wien geboren worden – am 7. Juli 1901 – und wohnte im dritten Bezirk. Der Handelsbund sprach sich am 23. November 1938 für die Weiterführung und eine „Arisierung“ des Geschäfts aus. Der „Bewerber“ Mader besäße zwar die fachliche Kompetenz, „muß aber hinter dem politisch befürworteten Bewerber Prochaska zurückstehen“, 1 da er im Gegensatz zu Prochaska nicht Mitglied der NSDAP war. Prochaska war seit März 1933 in der SA gewesen, wo er es zum Obersturmführer gebracht hatte (vergleichbar mit dem Rang eines Oberleutnants im regulären Militär). Seit April 1933 gehörte er außerdem der NSDAP an und war im Austrofaschismus wegen illegaler Betätigung für die Partei zu 18 Monaten Haft verurteilt worden. Aus Sicht der NSDAP stand ihm dafür eine „Wiedergutmachung“ zu – auf Kosten von Irma Kelemen. Die Vermögensverkehrsstelle (VVSt) folgte der Empfehlung des Handelsbundes und erteilte Prochaska am 25. Dezember 1938 die Genehmigung zur „Arisierung“.

Familie Kelemen und Eisenstein, um 1909. (Foto: Yad Vashem)

Rasch stellte sich heraus, dass die „Arisierung“ von vornherein ein abgekartetes Spiel von zwei SA-Kameraden gewesen war: Im März 1939 trat nämlich der bisherige „kommissarische Verwalter“ Franz Alt als Gesellschafter in das neu „erworbene“ Geschäft ein. Er und Prochaska kannten sich über den Kreis 3 der SA. Offensichtlich hatte sich Alt in Absprache mit Prochaska zum „kommissarischen Verwalter“ ernennen lassen, um als solcher die Übernahme sicherzustellen und bekam nun seinen Teil der Beute. Gemeinsam führten die beiden das Geschäft von nun an bis 1949 als Prochaska & Alt, Zur grünen Weintraube. 2 Die ehemalige Inhaberin des Modewarengeschäftes in der Wiedner Hauptstraße 52, Irma Kelemen, wurde vermutlich 1942 nach Maly Trostinec deportiert und dort ermordet. 3 Ihrer Tochter Gertrud Kelemen gelang die Flucht aus Wien. Sie forderte nach 1945 die Rückgabe des Betriebs ihrer Mutter, der sich nach wie vor im Eigentum des „Ariseurs“ Willibald Prochaska und des ehemaligen „kommissarischen Verwalters“ Franz Alt befand. Am 4. April 1949 gab die Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Gertrud Kelemens Antrag Recht: Prochaska und Alt hatten das von ihnen einst „arisierte“ Unternehmen der Tochter ihres Opfers zurückzugeben. 4

 

Jutta Fuchshuber

 

  1. 1) ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt, Handel 584.
  2. 2) Vgl. ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt, VA 18933, VA 23139, Handel 584 und Kommissare und Treuhänder 2764; WStLA, Handelsgericht, A8, 254. 2.7.1.4.K1 – Kartei zu den Gauakten, K1/58N und K1/4N, 2.7.1.4.A1 – Gauakten: Personalakten des Gaues Wien, A1/1880, M.Abt. 119, A42 NS-Registrierung, 103/9/23; Geni, Datenbank, URL: https://www.geni.com/ (15. 6. 2016).
  3. 3) Vgl. Yad Vasehm, Datenbank, URL: http://db.yadvashem.org/names/search.html?language=de (7. 5. 2016).
  4. 4) Vgl. WStLA, 1.3.2.119.B4.1 – VEAV, 4. Bezirk, 304.

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