Von Schikaneder bis Strauss – die „Arisierung“ der Kinos auf der Wieden

Johann-Strauss-Kino

Johann-Strauss-Kino in der Favoritenstraße 12, 1933. Das Kino wurde 1939 vom „kommissarischen Verwalter“ Ewald Kloser „arisiert“. (Foto: ÖNB/Anders, 168788-B)

Für die Enteignungen von Kinos wurde eine Arisierungskommission im Kinotheaterfach gebildet, der neben der VVSt auch verschiedene andere Stellen in Partei und Staat angehörten. Bis Ende 1938 wurden etwa 90 Kinobetriebe von Jüdinnen und Juden mehrheitlich von „alten Kämpfern“ „erworben“, die bereits seit März 1938 als kommissarische Verwalter der Filmtheater eingesetzt gewesen waren. 1 Drei davon befanden sich auf der Wieden. Im Jahr 1938 hatte es im vierten Bezirk sechs Kinos mit jüdischen EigentümerInnen gegeben, 2 von denen die eine Hälfte unter den Nazis zugesperrt, die andere „arisiert“ wurde. Fünf der ursprünglichen BesitzerInnen gelang rechtzeitig die Flucht, einer Eigentümerin nicht: Die 1879 im heutigen Ungarn geborene Johanna Klinger war Miteigentümerin des Schönburg-Kinos. Am 12. März 1941 wurde sie gemeinsam mit 997 Jüdinnen und Juden vom Wiener Aspangbahnhof in die Ghettos Lagów-Opatów deportiert und im Holocaust ermordet. 3 Die „Ariseure“ der drei Kinos waren alle bereits vor 1938 Mitglieder der NSDAP gewesen.

 

Das Schönburg-Kino

Werbeeinschaltung in den Wiener Neueste Nachrichten, 12. März 1938. Am Tag des „Anschlusses“ wurde im Schönburg-Kino die zweite Verfilmung des sozialkritischen Dramas „Der Biberpelz“ gezeigt.

Der Architekt Arthur Baron war Inhaber des Schönburg-Kinos in der Wiedner Hauptstraße 64. Seit 1928 war Hans Bauer dort als Geschäftsführer tätig, als solcher hatte er das Kino 1931 modernisiert und von Stumm- auf Tonfilmbetrieb umgestellt. Bauer verfügte dank seines relativ frühen Eintritts in die NSDAP am 1. April 1933 über eine prestigereiche niedrige Mitgliedsnummer (Nr. 1.519.147). Zusätzlich gehörte er auch der SA-Reserve an. Obwohl Baron der Besitzer des Kinos gewesen war, hatte er seinem Geschäftsführer weitgehend freie Hand gelassen. Stolz brüstete sich Bauer später, das Kino sei schon vor 1938 weithin als „Nazi-Kino“ bekannt gewesen, da er vor allem „nationale“ Filme gezeigt und das Geschäft auch sonst ganz im Sinne der NSDAP geführt habe. Als sich nun die Gelegenheit bot, das Kino nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich der Besitzverhältnisse zum „Nazi-Kino“ zu machen, zögerte Hans Bauer nicht und erhielt im September 1939 durch die VVSt die Genehmigung zur „Arisierung“. Es wurde nicht nur Barons Kinobetrieb „arisiert“, sondern auch die in seinem Eigentum stehenden Liegenschaften. Der damals 45-Jährige „Ariseur“ wohnte mit seiner Frau Paula Bauer, der gemeinsamen Tochter und seiner Stieftochter in der Kirchengasse 9a. Wie viele andere Wiener Jüdinnen und Juden mussten auch Arthur Baron und seine Ehefrau Katharina (Kitty) während des NS-Regimes ihre Wohnung in der Wiedner Hauptstraße 64 verlassen und zogen nach 1938 in die Habsburgerstraße 5. Arthur Baron verstarb am 30. August 1943 in Wien, seiner Frau Kitty gelang die Flucht in die USA. 4

 

Das Johann-Strauss-Kino 5

 

Johann-Strauss-Kino in der Favoritenstraße 12, 1933. Das Kino wurde 1939 vom „kommissarischen Verwalter“ Ewald Kloser „arisiert“. (Foto: ÖNB/Anders, 168788-B)

 

Das Schikaneder-Kino

Auch das heute noch bestehende zwischen 1906 und 1911 gegründete Schikaneder-Kino in der Margarethenstraße 24 wurde während des NS-Regimes „arisiert“. Inhaber des Kinos war der 1862 in Mähren geborene Hugo Klein, der 1938 mit seiner Ehefrau Anna in der Praterstraße 38 lebte. Ende März 1938 setzte sich der Kinofachmann Alfred Mazal, der seit 1933 Mitglied der NSDAP war, selbst als „Kommissar“ ein. In seinem Bericht vom April 1938 bemängelte er, dass das Kino sich in einem völlig heruntergekommenen, veralteten und schmutzigen Zustand befunden habe und keine Investitionen vorgenommen worden wären. 6 Der „Ariseur“ Franz Hansmann wurde von einem hochrangigen SS-Offizier (Rang SS-Oberführer) im Juli 1938 in den höchsten Tönen gelobt: „[…] Ich unterstütze dieses Ansuchen auf das wärmste, denn SS-Untersturmführer Hansmann zählt zu den ältesten SS-Männern Oesterreichs und zu jenen Parteigenossen, die sich rückhaltlos und ohne jede Rücksicht auf Existenz und Wohlergehen für die Idee des Führers geopfert haben. Er ist immer ein vorbildlicher, mutiger Kämpfer des Führers gewesen und ich kenne nur wenige SS-Kameraden, für die ich so eintreten könnte wie für ihn. Er hat auch im Altreich voll und ganz seinen Mann gestellt, brav und bescheiden gearbeitet, viel dazu gelernt und verdient jede Förderung.“ 7 Hansmann war bereits seit 1927 „Parteigenosse“ (Nr. 53.373), war 1931 der SA und SS beigetreten und in Letzterer zum Untersturmführer in der Standarte 89 aufgestiegen. Nach dem Verbot der NSDAP durch den Austrofaschismus im Jahr 1933 war Hausmann, weil er sich weiterhin illegal betätigt hatte, zu 20,5 Monaten Haft verurteilt worden. Seine Monate in Haft machten sich später für ihn bezahlt: Im Jänner 1939 erteilte die VVSt Hansmann die Genehmigung zur „Arisierung“ des Schikaneder-Kinos. Hugo und Anna Klein flüchteten während der NS-Zeit aus ihrer Heimatstadt nach Großbritannien und kehrten auch nach 1945 nicht mehr nach Wien zurück. Der Aufenthaltsort des „Ariseurs“ Hansmann war nach 1945 unbekannt. 1948 wurde das Schikaneder-Kino an den ehemaligen Eigentümer restituiert. 8

Jutta Fuchshuber

  1. 1) Vgl. Hans Witek, „Arisierungen“ in Wien. Aspekte nationalsozialistischer Enteignungspolitik 1938–1940, in: Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer/Reinhard Sieder (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2002, 804–808.
  2. 2) Johann Strauss-Kino, Favoritenstraße 12; Schikaneder-Kino, Margaretenstraße 24; Schönburg-Kino, Wiedner Hauptstraße 64.
  3. 3) Vgl. DÖW, Opfersuche, URL: http://www.doew.at (3. 10. 2015); http://ausstellung.de.doew.at/b206.html (3. 10. 2015).
  4. 4) Vgl. ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt, VA 29178, VA 25088, Gewerbe 3134, Statistik 5574, Kommissare und Treuhänder 1137 und FLD 20075; ÖStA, AdR, Inneres, Gauakt 10523; Ancestry Information Operations Unlimited Company, Datenbank, URL: http://www.ancestry.de (2. 1. 2016).
  5. 5) Vgl. ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt, VA 24205, VA 24206, VA 31522, VA 32255, Gewerbe 2970 und Kommissare und Treuhänder 1134.
  6. 6) Vgl. ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt, VA 1668, Gewerbe 2468 und Kommissare und Treuhänder 1136.
  7. 7) ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt, Gewerbe 2468.
  8. 8) ÖStA, AdR, EuRANG, VVSt, VA 1668, Gewerbe 2468 und Kommissare und Treuhänder 1136.WStLA, 3.2.119.B4.1 – VEAV, 4. Bezirk; Ancestry Information Operations Unlimited Company, Datenbank, URL: http://www.ancestry.de (25. 12. 2015).

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