Wie die Wieden wurde was sie ist: Ein Überblick

Wieden und Margareten (Matzleinsdorf, Nikolsdorf, Hundsturm) 1734. Aus „Lustra decem coronae Viennensis“ (Foto: ÖNB, PCH 14.538-B)

Die vor dem Kärntner Tor gelegene Siedlung an den Ufern des Wienflusses verdankt ihren Namen ursprünglich einem Armenspital, das im 13. Jahrhundert von Herzog Leopold VI vor den Toren Wiens gestiftet wurde: Wieden stammt von „widem“ („Stiftung“). Das Armenspital, entlang der heutigen Wiedner Hauptstraße gelegen, war von Gründen umgeben, die als Lehen an Fürsten vergeben wurden. Diese engagierten sich höchst unterschiedlich für die Entwicklung einer Ansiedlung.

Anfang des 17. Jahrhunderts bestand die Siedlung bereits aus 64 Häusern und war fest in bürgerlicher Hand: elf Gebäude befanden sich im Besitz von Weinbauern, vier gehörten Wirten, der Rest Richtern und Handwerkern. Ein Viertel der Eigentümer besaß auch innerhalb der Stadtmauern – also im heutigen ersten Bezirk – eine Liegenschaft und legte auf der Wieden offensichtlich sein Geld an. 1

Der Adel hatte sich für die heutige Wieden zu interessieren begonnen, als im 16. Jahrhundert innerhalb der Stadtmauern wiederholt die Pest wütete. Selbst der Hof begann sich angesichts der Hunderten Pestleichen in Straßen und Häusern nach einem Ausweichquartier umzusehen – möglichst außerhalb der seuchenanfälligen Residenz und doch nicht zu weit entfernt. Auf der Suche nach einem geeigneten Areal wurde Ferdinand II. auf der Wieden fündig.  Ab 1614 ließ er sich hier die Favorita errichten ließ, eine üppige Sommerresidenz. Eine Nachfahrin Ferdinands, Maria Theresia, verkaufte das Gebäude 1746 an den Jesuitenorden. Der wandelte das Anwesen zu einer Bildungseinrichtung um, aus der wiederum das Theresianum hervorging. Die Anwesenheit des Kaisers lockte besonders den niederen Adel auf die Wieden. Dieser hatte bis dahin die Nähe seiner Majestät entbehren müssen, weil er im Unterschied zur Hocharistokratie über keine eigenen Paläste in unmittelbarer Nähe der Hofburg verfügte. Nun erwarben kleine Adelige Gründe in der Nähe der Favorita, um wenigstens im Sommer Teil des herrschaftlichen Ambientes sein zu können. Reiche  Bürger eiferten ihnen diesbezüglich rasch nach.

Im Jahr 1642 kaufte Conrad Balthasar Starhemberg (1612–1687) den Grund der Wieden und ließ sich für 1.000 Gulden einen Freibrief vom Kaiser ausstellen. Durch diese Einmalzahlung löste Starhemberg alle künftigen Ansprüche des Kaisers ab. Seine Einkünfte aus dem Gut waren ab nun nicht mehr steuerpflichtig, es mussten keine Soldaten mehr einquartiert werden und darüber hinaus übte Starhemberg fortan auch die Funktion des Richters aus. Für die BewohnerInnen änderte sich wenig: Sie mussten weiterhin Tribute zahlen sowie Abgaben und Zwangsdienste leisten – nur eben nicht mehr an den Kaiser, sondern an Fürst Starhemberg. Der neue Eigentümer vergrößerte den Besitz durch Zukäufe wesentlich und ließ eine weitläufige Palastanlage mit angeschlossenen Miethäusern errichten – das heute nicht mehr bestehende, aber nach wie vor namengebende Freihaus. 2

„Aussicht gegen die Vorstädte Vieden und Vien.“ Blick über die Wien auf die Vorstadt Wieden mit dem Freihaus, 1780. Kolorierte Radierung von Johann Ziegler (1750-1812). (Druckschriften: ÖNB: 207586-F.Por.)

Die im 18. Jahrhundert errichteten Stadtpalais und die im 19. Jahrhundert folgenden bürgerlichen Zinspaläste, die äußerlich den Stil der adeligen Bauten nachahmten, aber im Unterschied zu diesen der Vermietung dienten, prägen bis heute das Erscheinungsbild der Wieden. Sie begründeten das Image eines wohlhabenden Stadtviertels, in dem vor der Revolution von 1848 mehr Menschen als in jeder anderen Wiener Vorstadt lebten. Die Wieden war schon zuvor der Wiener Gerichtsbarkeit unterstellt worden, die Eingemeindung erfolgte jedoch erst 1850. Ein gutes Jahrzehnt später, 1861, entledigte sich der nunmehrige Stadtbezirk seiner ärmeren Teile, indem das heutige Margareten sowie der nördliche Teil des heutigen Favoriten abgetrennt wurden. 3

 

Fortan war die Wieden auf ihren repräsentativen Kern zwischen Freihausviertel, Karlskirche und Belvedere reduziert. Der Anteil von Gewerbetreibenden, Beamten sowie Menschen, die lediglich von ihren Kapitaleinkünften lebten, war im Wiener Vergleich überproportional hoch. Dennoch lebte auch hier der überwiegende Teil der Bevölkerung nach wie vor in Armut. Die Bezirksfläche war seit dem Wirtschaftsboom in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts außerordentlich eng verbaut. Abseits der komfortablen Bürgerquartiere existierte hier von Beginn an ein großes Segment wenig komfortablen Wohnraums. Diese dunklen, kalten und nicht selten feuchten Quartiere konzentrierten sich speziell in jenen Bezirksteilen, die an den – erst Ende des 19. Jahrhunderts regulierten – Wienfluss angrenzten. Dicht gedrängt lebte in solchen Unterkünften die Mehrheit der Menschen im Bezirk. Deren Zahl hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vervierfacht und umfasste vor dem Ersten Weltkrieg doppelt so viele Menschen wie heute: 63.000 Frauen,  Männer und Kinder im Jahr 1910 gegenüber 31.000 EinwohnerInnen 100 Jahre später, 2011.4

Hinzu kamen all jene, die gar nicht über eigenen Wohnraum verfügten, namentlich die zahlreichen HausgehilfInnen, die von frühmorgens bis spätabends für kargen Lohn oder überhaupt nur gegen Kost und Quartier der „besseren Gesellschaft“ zu Diensten waren, um sich nachts in ihre fensterlosen Dienstbotenkammern hinter den Wirtschaftsräumen zurückzuziehen, die sie üblicherweise zu zweit oder dritt bewohnten.5

 

Florian Wenninger

  1. 1) Susanne Claudine Pils, Wieden von 1500 bis 1900. Eine Vorstadt kommt in Form, in: Elke Doppler (Hg.), Am Puls der Stadt. 2000 Jahre Karlsplatz, Wien 2008, 100–103, 101.
  2. 2)   Vgl. Tadeusz Krzeszowiak, Freihaustheater in Wien 1787–1801. Wirkungsstätte von W. A. Mozart und E. Schikaneder. Sammlung der Dokumente, Wien–Köln–Weimar 2009, 41–68.
  3. 3) Vgl. Felix Czeike, IV. Wieden. Wiener Bezirkskulturführer, Wien 1979. Zum Zuzug der Noblesse siehe auch den Eintrag für die Wieden bei Peter Diem/Michael Göbl/Eva Saibel, Die Wiener Bezirke. Ihre Geschichte. Ihre Persönlichkeiten. Ihre Wappen, Wien 2002.
  4. 4) Vgl. die Zahlen der Volkszählungen 1910 und 2011, auf Tausender gerundet.
  5. 5) Zur Wohnsituation in Wien siehe Michael John, Hausherrenmacht und Mieterelend. Wohnverhältnisse und Wohnerfahrung der Unterschichten in Wien 1890–1923, Wien 1982.

Jüdische Wieden vor 1938