Edith Hahn

Edith Hahn, 1940. (Foto: United Holocaust Memorial Museum)

Die 1914 in Wien geborene Studentin Edith Hahn lebte 1938 gemeinsam mit ihrer Mutter Klothilde Hahn und ihren beiden jüngeren Schwestern – die 1921 geborene Johanna und die 1915 geborene Maria – im vierten Bezirk in der Argentinierstraße.1 Ihr Vater Leopold Hahn war 1936 einem Herzinfarkt erlegen. Die Familie lebte säkular und sozialdemokratisch. Ihre Eltern förderten die Bildung ihrer Tochter und stimmten der – für eine Frau damals keineswegs selbstverständlichen – Idee zu, sich an der Universität einzuschreiben. Im Jahr 1938 hatte Edith Hahn bereits ihr achtes und letztes Semester an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien erfolgreich hinter sich gebracht,2 im April 1938 wurde ihr jedoch aus rassistischen Gründen das Antreten zum abschließenden Staatsexamen untersagt.3 Während ihre Schwestern nach Großbritannien und Palästina flüchteten, blieb Edith Hahn mit ihrer Mutter in Wien, weil sie sich nicht von ihrer großen Liebe, Josef Rosenfeld, trennen wollte. Auf Druck seiner Familie beendete dieser jedoch bald die Beziehung. Im Verlauf des Jahres 1939 mussten Mutter und Tochter ihre Wohnung räumen und in den zweiten Bezirk übersiedeln. 4 Im April 1941 wurde Edith Hahn zur Zwangsarbeit ins „Altreich“ – das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 – beordert, wo sie zunächst ohne ausreichende Kleidung in der Kälte, vor allem aber auch ohne genug Nahrung auf einer Spargelplantage schuften musste. Später wurde sie einer Papierfabrik als Arbeiterin zugewiesen,5 um schließlich nach über einem Jahr wieder nach Wien rücküberstellt zu werden – zum Zweck ihrer Deportation. Kurz vor ihrer Rückkehr war bereits ihre Mutter Klothilde Hahn im Juni 1942 in das Ghetto Minsk deportiert worden, wo sie wenig später ermordet wurde.6 Als Edith Hahn davon erfuhr und es nun offensichtlich nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie selbst an die Reihe käme, beschloss sie unterzutauchen.

Bereits während der Zugfahrt nach Wien entfernte sie den gelben „Judenstern“ von ihrer Kleidung. Mit Hilfe von FreundInnen und Bekannten – darunter auch Maria Niederall, ein langjähriges NSDAP-Mitglied, und ein von ihr vermittelter SS-Mann – gelang es ihr zunächst, bei Bauern in Hainburg unterzukommen. Weil sie dort aber nicht dauerhaft bleiben konnte, begab sie sich zurück nach Wien, wo sie über einige Wochen an wechselnden Orten Aufnahme fand. In dieser Zeit verhalf ihr eine Freundin, Christine Margarethe Denner, deren Kindermädchen Edith Hahn gewesen war, zu falschen Dokumenten. Sie überließ Edith Hahn ihren Ausweis und meldete ihn der Polizei als verloren. Dennoch war das Risiko, in Wien zu bleiben und von jemandem erkannt zu werden, zu groß. Als Grete Denner7 reiste Edith Hahn deshalb nach München und meldete sich dort beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) zur Arbeit. Ihre Aufnahme in die DRK-Dienste war ein entscheidender Faktor für ihr Überleben in der Illegalität, da sie nur auf diese Weise nicht in der zentralen Arbeitskartei erfasst wurde und den Behörden daher die Existenz zweier identischer Personen nicht auffiel. Im August 1942 lernte Edith Hahn den glühenden Nationalsozialisten Werner Vetter aus Brandenburg kennen, der sich in sie verliebte. Als er ihr wenige Monate später einen Heiratsantrag machte, weihte sie ihn in ihr Geheimnis ein, denn für eine Hochzeit hätte sie einen Abstammungsnachweis benötigt. Er versprach ihr, sie nicht zu verraten. Da die Beziehung mit einem „Arier“ auch zusätzliche Sicherheit versprach, gab Edith Hahn seinem Drängen schließlich nach. Im Winter 1942 zog das Paar in die Kleinstadt Brandenburg an der Havel, wo sie in der Werksiedlung von Werner Vetters Arbeitgeber, dem Flugzeughersteller Arado, lebten.8

Im September 1943 wurde Edith Hahn schwanger. Sie war bis dahin erfolgreich einer formellen Ehe aus dem Weg gegangen, doch nun bestand Werner Vetter umso mehr auf einer Hochzeit. Edith Hahn konnte die erforderlichen Papiere nicht erbringen, aufgrund ihres angeblich „arischen Aussehens“ bestätigte allerdings ein Standesbeamter ihre zweifelsfreie „Deutschblütigkeit“. Während im April 1944 US-amerikanische Flugzeuge Brandenburg bombardierten, kam ihre Tochter Angela Hahn zur Welt.9 Kurz darauf wurde Werner Vetter, der infolge eines Arbeitsunfalls auf einem Auge erblindet war, dennoch zur Wehrmacht eingezogen und mit seinem Verband an die Ostfront geschickt. Dort geriet er rasch in Kriegsgefangenschaft und kam nach Sibirien. Nach der Einnahme Brandenburgs durch die Rote Armee zögerte Edith Hahn zunächst, ihre wahre Identität zu enthüllen. Nachdem sie diesen Schritt schließlich doch wagte, wurde sie – weil sie nicht verdächtigt wurde, der NSDAP angehört oder mit ihr sympathisiert zu haben – Richterin am Amtsgericht Brandenburg. Werner Vetter kehrte 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurück und wenig später wurde die Ehe geschieden. Ende 1948 setzte sich Edith Hahn nach England ab, nachdem der sowjetische Nachrichtendienst NKWD sie als Spitzel anzuwerben versucht hatte.10 Sie heiratete einen jüdischen Überlebenden aus Wien und wanderte schließlich nach Israel aus, wo sie sich in Netanya niederließ.11 2009 starb sie im Alter von 95 Jahren.

MATTHIAS KAMLEITNER

  1. 1) Vgl. Archiv der IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2590, 86, AFB-Nr. 24038 (Maria Hahn).
  2. 2) Vgl. Kniefacz/Posch, Edith Hahn (verh. Hahn-Beer). Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, URL: http://gedenkbuch.univie.ac.at/index.php?person_single_id=40859 (15. 7. 2015).
  3. 3) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001, 59-60.
  4. 4) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001, 61-67.
  5. 5) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001, 76-77, 102-103.
  6. 6) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001, 127.
  7. 7) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001, 128, 135-157.
  8. 8) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001; 159-178.
  9. 9) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001.
  10. 10) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001, 250-284.
  11. 11) Vgl. Edit Hahn-Beer, Ich ging durchs Feuer und brannte nicht. Eine außergewöhnliche Lebens- und Liebesgeschichte, Wien 2001, 8.

Schicksale