Familie Elsner/Kollberg

Franz Elsner, Selbstbildnis, 1926 (l) Lily Kollberg Elsner, gemalt von ihrem Mann Franz Elsner, 1948 (r)

Louise „Lily“ Kollberg wurde 1898 in eine wohlhabende Wiener Familie geboren. Ihr Vater Julius Kollberg (1851-1920) war in der k.u.k.-Monarchie Generalimporteur für Indigo gewesen. Bis zur Erfindung des synthetischen Indigo um die Jahrhundertwende war dies ein äußerst lukrativer Geschäftszweig. Später war Julius Kollberg Besitzer einer Gerbstofffabrik auf dem Gebiet der heutigen Slowakei. Seine Frau Rosa (1860-1946), Lilys Mutter, entstammte der prominenten Bankiersfamilie Fischhof, dessen Vater Julius Fischhof (1823-1887) ein bekannter Wiener Philanthrop und Kunstmäzen war.
Julius und Rosa Kollberg konvertierten zum Protestantismus und ließen ihre beiden Kinder, Lily und deren sechs Jahre älteren Bruder Eugen taufen. Die Familie lebte auf zwei Etagen in der Plößlgasse 6 zur Miete, besaß aber ein Zinshaus in der Wohllebengasse 17. Nachdem Julius Kollberg 1920 an einer Blutvergiftung gestorben war, wohnte Rosa mit ihren beiden Kindern weiterhin in der Plößlgasse und lebte von den Mieteinkünften aus der Wohllebengasse. Lily und Eugen entwickelten beide künstlerische Talente. Eugen wurde ein namhafter Regisseur und Schauspieler in Deutschland. Lily, die als Frau nicht an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studieren konnte, besuchte anschließend an die Wiener Frauenakademie nach dem Ersten Weltkrieg die private Malschule Robin Christian Andersen. Dort traf sie Franz Elsner, Sohn eines katholischen Ottakringer Fleischhauers, der sich als ausgebildeter Lithograph nach dem Krieg ebenfalls der Malerei zugewandt hatte, angespornt vom Besuch eines Malkurses an der Volkshochschule.

Obwohl Elsner im Unterschied zu seiner späteren Frau Lily an der Akademie aufgenommen worden wäre, entschied auch er sich für die Malschule Andersen, die als offener und moderner als die Akademie galt und eine ganze Reihe prominenter AbsolventInnen hervorbrachte. Franz und Lily verliebten sich, beide Herkunftsfamilien hatten nichts gegen die Verbindung einzuwenden, das Paar heiratete und lebte in der oberen Etage der Plößlgasse 6, Lilys Mutter Rosa bewohnte die darunter liegende Wohnung. Im Jahr 1931 wurde ihr einziges Kind geboren: Michael. Dieer erinnerte sich später an ein weltoffenes, vor allem mit seiner Kunst beschäftigtes Elternhaus. Franz und Lily reisten gerne und viel und verkehrten in einem großen Kreis von Freunden und Bekannten. Sie waren mit dem Leben, das sie führten zufrieden. Religion spielte kaum keine Rolle und daher fühlten sie sich auch lange vom Antisemitismus nicht unmittelbar betroffen, so Michael: „Wir haben bis zum „Anschluss“ gar nicht glauben können, dass das uns betreffen soll – wir waren doch keine Juden!“

Erste Schatten hatte das Kommende freilich schon 1937 vorausgeworfen: Eugen, der aufgrund seiner „jüdischen“ Herkunft in Deutschland endgültig keine Rollen mehr bekam, kehrte zurück nach Wien und lebte fortan ebenfalls bei seiner Mutter in der Plößlgasse 6.
Auch seine alte Freundschaft mit der Schauspielkollegin Emma Köstlin, geborene Sonnemann, die 1935 in zweiter Ehe die Nummer zwei des NS-Staates, Hermann Göring geheiratet hatte und bei ihrem Mann zugunsten von Eugen intervenierte, konnte ihm nicht helfen.

Von den beginnenden Ausschreitungen und Übergriffen nach dem „Anschluss“ im März 1938 war die Familie Elsner nicht betroffen. Dennoch war Lily – mutmaßlich auch durch die Berichte ihres Bruders über dessen Erlebnisse im Deutschen Reich – besorgt, während ihr achtjähriger Sohn im Stillen die HJ-Jungen mit ihren schneidigen Uniformen, den Ausflügen und Paraden beneidete. Rasch änderte sich aber auch für ihn das Bild grundlegend. Es begann damit, dass die nichtjüdische Haushälterin seiner Großmutter ihre Stellung aufgeben musste, da Jüdinnen und Juden keine Hausangestellten mehr beschäftigen durften. Ihr Haus in der Wohllebengasse 17 wurde „arisiert“, womit die Familie ihr einziges regelmäßiges Einkommen verlor. Noch 1938 wurden Großmutter und Onkel aus ihrer Wohnung in der Plößlgasse 6 geworfen und mussten in ein Kabinett in der Krummbaumgasse 1 im zweiten Bezirk umziehen. Lily, die mit Franz in einer „privilegierten Mischehe“ lebte, war selbst nicht direkt betroffen, aber auch die Familie Elsner empfand die Situation rasch als untragbar. Ein Versuch des mittlerweile zur Wehrmacht eingezogenen Franz mit seiner Familie in die USA auszuwandern, scheiterte 1939 jedoch, da die USA die Ausstellung von Visen für die Familie verweigerten.

Michael Elsner, gemalt von seinem Vater Franz, 1942

Auf diese Weise war die Familie gezwungen in Wien zu bleiben und Michael durfte als „Mischling“ trotz bestandener Aufnahmeprüfung nicht das Akademische Gymnasium besuchen. Später wurde er auch vom Unterricht in der Hauptschule am Karlsplatz ausgeschlossen, die er stattdessen vorübergehend besuchte hatte. Seine Großmutter Rosa Kohlberg litt zunehmend unter Altersschwäche und Demenz. Sie wurde schließlich aus dem Kabinett in der Krummbaumgasse 1 ins Jüdische Spital in der Malzgasse 7 bzw. 16 im zweiten Bezirk verlegt. Anders als bei den allermeisten anderen PatientInnen war das ihr Glück: Als die Deportationen begannen, wurde sie als „nicht transportfähig“ zurückgestellt und lebte als bettlägerige Patientin bis zur Befreiung Wiens in der Seegasse.

Lilys Bruder Eugen wurde am 27. Mai 1942 gemeinsam mit 980 anderen Menschen nach Minsk deportiert. Als sie dort am 1. Juni eintrafen, wurden sie sofort nach Maly Trostinec weitertransportiert, wo man ihnen sämtliche Wertsachen abnahm, sie in ein nahe gelegenes Waldstück trieb und dort in Gruben erschoss.1
Als Wien 1943 in Reichweite der alliierten Bombergeschwader geriet, schickten Franz und Lily ihren Sohn Michael zu einem Bauern ins Waldviertel, wo er bis April 1945 blieb. In den letzten Kriegstagen schlug er sich auf eigene Faust mit dem Rad nach Wien durch, wo er seine Eltern wohlauf fand. Die Familie blieb nach dem Krieg in Wien.

Dieser Artikel basiert auf einem Zeitzeugeninterview mit Michael Elsner, dem Sohn von Lily Kollberg und Franz Elsner, geführt am 27. März 2017.

FLORIAN WENNINGER

Eugen Kollberg

Lilys Bruder Eugen Kollberg, ermordet in Maly Trostinec am 1. Juni 1942

  1. 1) Vgl. Dieter J. Hecht, Michaela Raggam-Blesch,Heidemarie Uhl, Der Aspangbahnhof –zentraler Deportationsort für Jüdinnen und Juden aus Wien und Österreich Historische Darstellung und Quellendokumentation, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 2016, online unter http://www.gbstern.at/fileadmin/user_upload/GB0311/Downloads/
    6_Historische_Darstellung_und_Quellendokumentation.pdf siehe außerdem den
    Eintrag zur Person in der DÖW-Shoah-Opferdatenbank unter http://www.doew.at/
    result.

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