Julius Koritschoner

Koritschoner

Julius Koritschoner, Aufnahme in den 1920ern.

Die antisemitische Propaganda griff häufig auf das Stereotyp der „jüdischen Geldgier“ zurück: Anders als nichtjüdische Geschäftsleute zeichneten sich jüdische durch unlautere Geschäftspraktiken aus, durch Schwindel und Betrug. Obwohl die breite Mehrheit der Jüdinnen und Juden keineswegs reich war, wurde sie in weiten nichtjüdischen Bevölkerungskreisen hartnäckig dafür gehalten und angefeindet. Eine bewährte Technik der antisemitischen Agitation war es, Einzelpersonen, die aus jüdischen Familien stammten und tatsächlich unter mehr oder minder dubiosen Umständen an ihr Vermögen gekommen waren, als „typisch“ zu präsentieren. Der Einzelne stand dann nicht mehr für sich, sondern wurde zum repräsentativen Vertreter seiner „Rasse“ stilisiert.

Ein Beispiel aus dem vierten Bezirk, das die AntisemitInnen der Zwischenkriegszeit gerne bemühten, war Julius Koritschoner. Dieser hatte während des Ersten Weltkrieges als Mittzwanziger seine Stellung im staatlichen Rüstungsamt genützt, um ein Vermögen zu verdienen. In den Wirren des Kriegsendes betätigte sich Koritschoner äußerst erfolgreich als Schieber auf dem Schwarzmarkt. Während andere Reiche eher versuchten, ihren Besitz vor den Blicken der Öffentlichkeit zu verbergen, stellte ihn Koritschoner demonstrativ zur Schau. Im Sommer boten die Parties auf seinem Anwesen am Wolfgangsee regelmäßig Stoff für Klatsch und Tratsch. Im Winter residierte der Dandy, der es in seinem kurzen Leben auf immerhin drei Ehen brachte, in der Johann-Strauß-Gasse 22. Die dortige Wohnung hatte er sich von den prominenten ArchitektInnen Friedl Dicker (die 1944 in Auschwitz ermordet wurde) und Franz Singer aufwändig gestalten lassen. Hier gab sich die Wiener Hautevolee die Klinke in die Hand.

Julius Koritschoner selbst bekam sein Lebenswandel nicht, er wurde schwer kokain- und morphiumabhängig. Als er seinem Leben 1928, im Alter von nur 36 Jahren, in Istanbul selbst ein Ende setzte, war sein ganzer Reichtum dahin, zurück blieb ein Schuldenberg. Die Erinnerung an ihn hielt unter anderem der stark antisemitisch geprägte Heimito von Doderer wach, der ihm in seinem Roman Die Dämonen ein wenig schmeichelhaftes literarisches Denkmal setzte.1

FLORIAN WENNINGER

  1. 1) Vgl. die Figur des Cornel Lasch an verschiedenen Stellen bei Heimito von Doderer, Die Dämonen, München 1985; siehe außerdem Alexandra Kleinlercher, Zwischen Wahrheit und Dichtung. Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer, Wien–Köln–Weimar 2011, 182f.; Marie-Theres Arnbom, Damals war Heimat. Die Welt des Wiener jüdischen Großbürgertums, Wien 2014, 186–194.

Schicksale