Familie Tausig

Tausig-Otto

Otto Tausig mit seiner späteren Frau Hansi um 1942 in London. (Foto: Mandelbaum Verlag/Otto Tausig: Kasperl, Kummerl, Jud)

Im März 1938 war der spätere Burgschauspieler Otto Tausig ein 16-jähriger Gymnasiast und lebte mit seinen Eltern in der Favoritenstraße. 1 Bereits wenige Wochen nach dem „Anschluss“ wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft der Schule verwiesen.2 Während der Novemberpogrome verhaftete die Gestapo Otto Tausigs Vater, den Rechtsanwalt und Kaufmann Aladar Tausig, für einen Monat.3 Otto und seine Mutter Franziska Tausig wurden unterdessen von der SS gezwungen, ihre Wohnung zu räumen und zu den Großeltern in der nahe gelegenen Schelleingasse zu übersiedeln. 4 Der Vater wurde schließlich entlassen, es gelang der Familie aber nicht zu emigrieren, weil sie keine Einreisegenehmigungen bekommen konnten. Im Jänner 1939 beschlossen Aladar und Franziska Tausig, wenigstens ihren Sohn mit einem Kindertransport der Quäker nach England in Sicherheit zu bringen, während sie selbst weiterhin in Wien blieben. 5 Franziska Tausig hätte durch eine britische Einreisegenehmigung sogar die Möglichkeit gehabt, ihrem Sohn zu folgen, sie entschied sich aber gegen die Trennung von ihrem Mann, den sie nicht alleine zurücklassen wollte. Mit Glück konnten die beiden schließlich zwei Schiffsfahrkarten nach Shanghai erwerben.6 Ende April 1939 fuhren sie per Zug nach Hamburg, wo sie tags darauf an Bord des Schiffes Usaramo gingen – ein Dampfer der Deutschen Ost-Afrika Linie, der sie nach Shanghai brachte. 7

Nach seiner Ankunft in England hielt sich Otto Tausig zunächst mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Später bekam er ein Stipendium an der Londoner Universität zuerkannt. Zu seinem Antritt als Student an der Londoner Universität sollte es aber nicht mehr kommen: Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er zum enemy alien erklärt und verbrachte zwei Jahre in einem Internierungslager auf der Isle of Man. Nach seiner Entlassung nahm er eine Stelle in einer Londoner Fabrik an und schloss sich der kommunistisch dominierten Jugendgruppe Young Austria an. Neben seiner politischen Tätigkeit fand Otto Tausig zu seinem Lebensthema: dem Theaterspielen. 8

Während ihr Sohn sich in England um seine Studienzulassung bemühte, erreichten Franziska und Aladar Tausig im Mai 1938 Shanghai. Franziska Tausig kam in einem Restaurant als Mehlspeisenköchin unter und konnte auf diese Weise zumindest ein karges Einkommen sichern. Ihr Mann erkrankte bereits kurz nach der Ankunft und sollte sich nie mehr richtig erholen. Im Jahr 1943 mussten die beiden ins Ghetto Hongkou übersiedeln, wo sie die Bewirtschaftung einer kleinen Bäckerei übernahmen.9 Aladar wurde wenig später aufgrund seiner fortgeschrittenen Erkrankung ins Spital eingeliefert, wo er am 13. August 1943 verstarb.10 „Der Tod, der überall lauerte – Cholera, gelbes Fieber, Tuberkulose und der Fäulnisgeruch – hatte ihn ereilt“ 11, wie seine Witwe später schrieb.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Otto Tausig im April 1946 nach Wien zurück.12 Seine Mutter gelangte erst zwei Jahre später wieder in ihre Heimatstadt, wo sie nach neun Jahren erstmals wieder ihren Sohn sah. 13 Wie Franziska Tausig verließen fast alle, die in den 1930er-Jahren als Flüchtlinge nach Shanghai gekommen waren, die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Viele von ihnen hatten in den Jahren der Verfolgung begonnen, von einem Leben in Sicherheit und Frieden in einem eigenen jüdischen Staat zu träumen. An dessen Aufbau wollten sie nun mitwirken.

2014 wurde an der Kreuzung Karlsgasse/Gußhausstraße ein Platz in Wien-Wieden auf Initiative der Bezirksvertretung nach Otto und Franziska Tausig benannt. (Foto: Tom Juncker)

 

MATTHIAS KAMLEITNER

  1. 1) Vgl. Archiv der IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2590, 243, AFB-Nr. 8464 (Aladar Tausig).

  2. 2) Vgl. Otto Tausig, Kasperl, Kummerl, Jud. Eine Lebensgeschichte, Wien 2010, 8.
  3. 3) Vgl. Archiv der IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2590, 243, AFB-Nr. 8464 (Aladar Tausig).
  4. 4) Vgl. Otto Tausig, Kasperl, Kummerl, Jud. Eine Lebensgeschichte, Wien 2010, 24; Franziska Tausig, Shanghai-Passage. Flucht u nd Exil einer Wienerin, Wien 1987, 29-30.
  5. 5) Vgl. Otto Tausig, Kasperl, Kummerl, Jud. Eine Lebensgeschichte, Wien 2010, 10; Franziska Tausig, Shanghai-Passage. Flucht u nd Exil einer Wienerin, Wien 1987, 22-23.
  6. 6) Vgl. Franziska Tausig, Shanghai-Passage. Flucht u nd Exil einer Wienerin, Wien 1987, 31
  7. 7) Vgl. Franziska Tausig, Shanghai-Passage. Flucht u nd Exil einer Wienerin, Wien 1987, 33-36; Archiv der IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2590, 243, AFB-Nr. 8464 (Aladar Tausig).
  8. 8) Vgl. Otto Tausig, Kasperl, Kummerl, Jud. Eine Lebensgeschichte, Wien 2010, 34-47, 55-66.
  9. 9) Franziska Tausig, Shanghai-Passage. Flucht und Exil einer Wienerin, Wien 1987, 66-117
  10. 10) Vgl. Franziska Tausig, Shanghai-Passage. Flucht u nd Exil einer Wienerin, Wien 1987, 93-94; Yad Vasehm, Datenbank, URL: http://db.yadvashem.org/names/search.html?language=de (Eintrag Aladar Tausig, 9. 6. 2015).
  11. 11) Franziska Tausig, Shanghai-Passage. Flucht u nd Exil einer Wienerin, Wien 1987, 93.
  12. 12) Vgl. Otto Tausig, Kasperl, Kummerl, Jud. Eine Lebensgeschichte, Wien 2010, 73.
  13. 13) Vgl. Franziska Tausig, Shanghai-Passage. Flucht und Exil einer Wienerin, Wien 1987, 64, 154.

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